Analyse

Was der Brexit-Deal wirklich bedeutet

Steve Peers, Rechtswissenschaftler an der Universität von Essex und Spezialist für die EU-Gesetzgebung, analysiert die vier wichtigsten Bestandteile des Abkommens zwischen der Europäischen Union und Großbritannien.

Foto: Moyan Brenn via Flickr (CC BY 2.0)

Die in der Nacht des 19. Februar in Brüssel zwischen den nationalen Regierungschefs getroffene Vereinbarung wird die künftigen Beziehungen Großbritanniens mit der EU verändern. Am 23. Juni werden die britischen Wähler in einem Referendum darüber entscheiden, ob sie in der EU bleiben oder sie verlassen wollen.

Die Vereinbarung beinhaltet alle vier Themen, die der britische Premierminister David Cameron neuverhandeln wollte. Aber auf jedem Gebiet hat er nur in Teilen das bekommen, was er ursprünglich verlangt hat. Diese vier Themen waren: Die Freizügigkeit für EU-Bürger, die Souveränität des Vereinigten Königreiches, die EU-Wettbewerbsfähigkeit und die Beziehungen zwischen der Eurozone und den Nicht-Eurostaaten.

Freizügigkeit für EU-Bürger

Was steht in der Vereinbarung? Großbritannien darf die Sozialleistungen für Arbeitnehmer aus der EU vier Jahre lang ab dem Zeitpunkt begrenzen, an dem diese ihre Arbeit im Vereinigten Königreich aufgenommen haben. Jedoch darf dieser Mechanismus nur sieben Jahre lang in Kraft bleiben. Großbritannien muss bei der EU einen Antrag stellen, der von anderen Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat angenommen werden muss.

Andere Teile des Abkommens erlauben es Großbritannien, mehr Restriktionen für nicht aus der EU stammende Familienmitglieder von EU-Bürgern einzuführen, die nach Großbritannien gekommen sind, und das Kindergeld für Angestellte aus der EU zu kürzen, deren Kinder in anderen EU-Staaten leben. Um das zu ermöglichen, wird es nach dem Referendum drei neue EU-Gesetze geben.

Wird der Plan umgesetzt? Die Europäische Kommission hat angekündigt, dass sie die drei Vorschläge einreichen wird. Die Vereinbarung besagt, dass die Mitgliedsstaaten die Sozialleistungspläne unterstützen. Aber es nicht klar, ob sie wirklich zustimmen werden, wenn Großbritannien tatsächlich diese „Notbremse“ zieht.

Die neuen Gesetze könnten vor den EU-Gerichten angefochten werden

Es ist auch fraglich, ob das Europäische Parlament die geplante Gesetzgebung unterstützt – und das ist wirklich eine entscheidende Frage, weil die Zustimmung des Parlaments essentiell ist. Obwohl die Europäische Volkspartei, die größte Partei im EU-Parlament, den Deal grundsätzlich unterstützt, will sie sich auch die Details erst genauer anschauen. Zudem müssen auch andere Parteien zustimmen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die neuen Gesetze von den EU-Gerichten wegen eines Verstoßes gegen die EU-Verträge angefochten werden.

Wird es die Europaskeptiker zufrieden stellen? Kritiker sagen, Cameron habe an diesem Punkt nicht genug verlangt. Er habe niemals versucht, das Prinzip der Freizügigkeit zu kippen. Cameron hat sich für die meisten seiner Vorschläge hinsichtlich der nicht aus der EU stammenden Familienmitglieder die Zustimmung gesichert, aber bei den Sozialleistungen für Arbeitnehmer und beim Kindergeld hatte er mehr verlangt.

Das Ziel war ein dauerhafter Stopp von Sozialleistungen für Arbeitnehmer in den ersten vier Jahren nach der Ankunft in Großbritannien. Stattdessen hat er nur eine temporäre und begrenzte Restriktion erreicht. Beim Kindergeld wollte er jeden Export von Leistungen in andere EU-Länder verhindern. Stattdessen wird nur die Menge dieser Leistungsexporte begrenzt – und diese Regel gilt nur für Angestellte, die sich bereits in Großbritannien befinden und Kindergeld ab 2020 haben wollen.

Souveränität

Was steht in der Vereinbarung? Eine „Red Card“-Option für die nationalen Parlamente: Die EU-Mitgliedsstaaten würden die Diskussion über ein neues EU-Gesetz stoppen, wenn eine große Gruppe (also eine knappe Mehrheit) der nationalen Parlamentskammern dagegen wäre – zumindest solange, bis die von den nationalen Parlamenten beanstandeten Punkte berücksichtigt wurden.

Wird der Plan umgesetzt? Die EU-Kommission oder das EU-Parlament müssen diesem Plan nicht zustimmen, allerdings könnten sie einen Weg finden, ihn vor den EU-Gerichten anzugreifen.

Wird es die Europaskeptiker zufrieden stellen? Die Vereinbarung zu den Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente geht über das hinaus, was bisher im EU-Recht steht. Sie ist weitestgehend das, was Cameron verlangt hat. Trotzdem argumentieren Kritiker, dass er mehr hätte verlangen sollen: nämlich ein Vetorecht für die nationalen Parlamente gegen EU-Gesetzte.

Der Vorschlag berücksichtigt ebenfalls Camerons Forderung, Großbritannien von der Idee einer „immer engeren“ Europäischen Union auszunehmen. Das wird aber nicht offiziell vollzogen, bis die EU-Verträge das nächste Mal geändert werden – und für die Umsetzung gibt es auch kein Zieldatum.

Die Kritiker sind unglücklich darüber, dass Großbritannien keine sofortige Ausnahmeregelung von der immer engeren Union inklusive einer Rückholung von Entscheidungsmacht aus der EU nach Großbritannien bekommen hat. Stattdessen bekräftigt das Abkommen alle schon bestehenden Wege, auf denen Großbritannien sich dem EU-Recht entziehen kann, ohne ein definitives Datum für die vollständige Ausnahme von der immer engeren Union zu setzen. Jedoch hat Cameron ankündigt, dass er bald ein neues Gesetz zur britischen Souveränität vorschlagen will.

Wettbewerbsfähigkeit der EU

Was steht in der Vereinbarung? Es gibt eine Menge allgemeiner Aussagen, aber nichts wirklich Substanzielles.

Wird der Plan umgesetzt? Das Abkommen ist in diesem Punkt nicht sonderlich konkret. Alle neuen Handelsabkommen mit Nicht-EU-Staaten und alle Aufhebungen oder Vereinfachungen von EU-Gesetzen sind in jedem Einzelfall von der Zustimmung der anderen Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments abhängig.

Wird es die Europaskeptiker zufrieden stellen? Viele Europaskeptiker hatten von Cameron verlangt, an diesem Punkt weiterzugehen und für Großbritannien Ausnahmeregelungen für die Gesetzgebung zu Arbeitszeiten und zur Zeitarbeit zu fordern – obwohl er das nie wirklich versucht hat. Falls er Ausnahmeregelungen für diese Gesetze errungen hätte, wären wohl einige Labour-Anhänger weniger bereit gewesen, beim Referendum für einen EU-Verbleib zu stimmen.

Beziehungen zur Eurozone

Was steht in der Vereinbarung? Großbritannien kann Gesetzentwürfe aus den Eurostaaten aufschieben, wenn es denkt, dass die Interessen des britischen Bankensektors betroffen sind. Aber letztlich hat Großbritannien kein Vetorecht.

Wird der Plan umgesetzt? Die anderen Mitgliedsstaaten haben die Regeln unterzeichnet, die Großbritannien dieses Recht geben. Die Zustimmung der EU-Kommission oder des EU-Parlaments wird nicht benötigt.

Wird es die Europaskeptiker zufrieden stellen? Cameron hatte darauf gehofft, ein volles Vetorecht zu bekommen. Daher werden die Kritiker höchstwahrscheinlich denken, dass der Mechanismus unzureichend ist. Es ist aber wert, sich daran zu erinnern, dass sie die Eurostaaten im Fall eines Brexits noch weniger dafür interessieren würden, was Großbritannien von den EU-Bankgesetzen hält.

 

Zum Autor:

Steve Peers ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Essex.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation auf englisch veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt. Die im Text enthaltenen Charts wurden ebenfalls von der Makronom-Redaktion erstellt.The Conversation